Erster Tag

Kleine Mädchen sollen fein
Zierlich und manierlich sein.
Und wenn sie zu ihren Paten
In der Ferienzeit geladen,
Müssen sie zu jeder Zeit
Zeigen ihre Dankbarkeit;
Dürfen, will die Tante ruhn,
Nie Spektakel machen tun.
Wenn der Tante fallen Maschen,
Muß ein art'ges Kind sie haschen;
Hat sie Kaffeekränzchen - dann
Muß den Kaffee reichen man,
Kurz, in allen Hausgeschäften
Müssen helfen sie nach Kräften.
Doch die Len' und auch die Liese
Waren unnütze Gemüse,
Die sich ganz damit begnügten,
Daß sie frohe Ferien kriegten
Auf der Insel Norderney;
Dankbarkeit war nicht dabei!
Drum ersannen sie auch gleich
Ersten Tages einen Streich,
Liesen - als die Tante strickte
Und dabei halb schlummernd nickte -
Eilig hin zum Badestrand,
Wo man bunte Quallen fand;
Gönnten sich nicht lange Ruh',
Fischten sie heraus im Nu,
Trugen sie in einer Kanne
Heim in Tantens Badewanne,
Wo sie dann mit ihnen taten,
Was dies Bild soll hier verraten.
Als die Tante, jeden Abend
gern an einem Bad sich labend,
Samstag drauf sich wollte sputen,
Um zu plätschern in den Fluten
Einer schönen grünen Wanne,
Die der Stolz der alten Hanne,
Schrak sie mit entsetztem Blick
Bald mal hier, bald dort zurück.
Schreckensbleich ward ihr Gesicht,
Sie verlor das Gleichgewicht,
Und es stürzten - plauz, bum! bum!
Tante und auch Wanne um.
Und die erst're rief beim Sinken:
»Helft, o helft, ich muss ertrinken!«

Andern hätt' es leid getan,
So sie dieses Ende sah'n, -
Nichts davon bei Len' und Liese;
Leider, ach, erfreut' es diese!

Und am nächsten Tag sodann
Fing man neuen Unfug an.
Weiter mit dem zweiten Tag

Erstellt von Jochen Schöpflin
Zuletzt aktualisiert am Freitag, 19. August 2005