Wilhelm Busch

E r z ä h l u n g e n

Der Schmetterling

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   Kinder, in ihrer Einfalt, fragen immer und immer: Warum? Der Verständige tut das nicht mehr; denn jedes Warum, das weiß er längst, ist nur der Zipfel eines Fadens, der in den dicken Knäuel der Unendlichkeit ausläuft, mit dem keiner recht fertig wird, er mag wickeln und haspeln, so viel er nur will.
   Vor Jahren freilich, als ich eben den kleinen Ausflug machte, von dem weiter unten berichtet wird, da dacht ich auch noch oft darüber nach, warum grad mir, einem so netten und vorzüglichen Menschen, das alles passieren mußte. Jetzt sitz ich da in sanfter Gelassenheit und flöte still vor mich hin, indem ich kurzweg annehme: Was im Kongreß aller Dinge beschlossen ist, das wird ja wohl auch zweckgemäß und heilsam sein.
   Mein Name ist Peter. Ich bin geboren anno dazumal, als man die Fräuleins Mamsellen nannte und die Gänse noch Adelheid hießen, auf einem einsamen Bauerngehöft, gleich links von der Welt und dann rechts um die Ecke, nicht weit von der guten Stadt Geckelbeck, wo sie alles am besten wissen.
   Daselbst in der Nähe liegt auch der unergründliche Grummelsee, in dem bekanntlich der Muddebutz, der langgeschwänzte, sein tückisches Wesen treibt. Frau Paddeke, die alte, zuverlässige Botenfrau, hat ihn selbst mal gesehn, wie er den Kopf aus dem Wasser steckte; und scharf und listig hat er sie angeschaut, mit der überlegenen Ruhe und Kaltblütigkeit eines vieltausendjährigen Satans.
   Meine Mutter starb früh. Der Vater und der brave Knecht Gottlieb bestellten fleißig die Felder. Mein hübsches Bäschen Katharine führte die häusliche Wirtschaft.
   Da ich meinerseits, obwohl ich ein stämmiger Schlingel geworden, weder zum Pflügen noch zum Häckerlingschneiden die mindeste Neigung zeigte, schickte mich mein Vater in die Stadt zu Herrn Damisch, dem gelehrten Magister, der mich jedoch bereits nach ein paar Jahren, als nicht ganz zweckentsprechend, bestens dankend zurückgab.
   Hierauf, nachdem ich so ein Jährchen verbummelt hatte, kam ich zu dem hochberühmten Schneidermeister Knippipp in die Lehre nebst Kost und Logis.
   »Auch ein vornehmes Metier!« meinte der Vater. »So ein Schneider kann sein Brot im Trockenen verdienen wie der feinste Schulmeister, ob's regnet oder schneit.«
   Schon nach neun Monaten spülten mich die dünnen Wassersuppen der dicken Frau Meisterin wieder der Heimat zu.
   Ich hatte mich fein gemacht. Strohhut, himmelblauer Schniepel; stramme gelbe Nankinghose; rotbaumwollenes Sacktuch. Aber diesmal war der Vater wirklich sehr ärgerlich. Er griff zum Ochsenziemer; und er hätte sein böswilliges Vorhaben auch sicherlich ausgeführt, wenn ihn der brave Gottlieb und das gute Kathrinchen, er vorne, sie hinten, nicht entschieden gehemmt hätten
   Den Winter blieb ich zu Haus. Ohne grad viel aufs Essen zu geben, stand ich gern hinter dem hübschen Bäschen in der Küche herum. Mitunter nahm ich ihr eine Stecknadel weg und stach sie mir kaltblütig durchs Ohr. Auch tanzte ich zuweilen waghalsig auf dem gefährlichen Brunnenrande, und wenn das Kathrinchen zusah und es grauste ihr tüchtig, das war mir grad recht. Dann wieder konnt ich dastehn in tiefster Versimpelung, wie ein alter Reiher im Karpfenteich. Ein besonders hoher Genuß war mir's aber, so des Abends auf er Bank hinter dem Ofen zu liegen und zuzusehen, wie das Kathrinchen Bohnen aushülste und der Gottlieb Körbe flocht. Bei dem Anblick dieser kleinen, krausen, krispeligen Tätigkeit überkam mich immer so ein leises, feines, behagliches Gruseln. Oben in den Haarspitzen fing's an, kribbelte den Rücken hinunter und verbreitete sich über die ganze Haut, während meine Seele gar sanft aus den Augen herauszog, um ganz bei der Sache zu sein, und mein Körper dalag wie ein seliger Klotz. Eines Abends stieg ich auch mal heimlich in den Lindenbaum, weil ich gern mal sehen wollte, wie das Kathrinchen zu Bette ging. sie betete grad ihren Rosenkranz. Als sie aber anfing sich auszuziehn und die Geschichte bedenklich wurde, machte ich Ahem! und Phütt! war die Lampe aus. Am andern Nachmittag wurde an einer grünen Gardine genäht.
   Mein Stübchen lag oben im Giebel. In einem dicken Legendenbuche las ich bis spät in die Nacht hinein. Wenn dann der Wind sauste und der Schnee ans Fenster klisperte, fühlte ich mich so recht für mich als ein behaglicher Herr.
   Die Hexen hatten ihren Strich da vorbei; sie zügelten zuweilen ihre Besen und lugten durch die Scheiben; meist alte Hutzelgesichter, als wären sie gedörrt worden am höllischen Feuer. Mal aber war's eine junge, hübsche. Sie hatte eine Schnur von Goldmünzen ins Haar geflochten. Sie blinzelte und lachte. Ihre weißen Zähne blitzten, wie ihr das Licht ins Gesicht schien, gegen den dunklen Hintergrund.
   Als der Sommer kam, als die Welt eng wurde von Laub und Blüten, macht ich mir ein Netz und jagte nach Schmetterlingen. So herumzustreifen in leichtsinniger Freiheit, oder mich niederzulegen zu beliebiger Ruhe, das war mein Fach; und hupfen, wie der rührigste Heuschreck, das konnt ich auch.
   Eines Sonntagmorgens, während die andern zur Messe waren, macht ich mich hübsch und ging aus der Hintertür, das Netz in der Hand, den Frack voller Pflaumen. Hell schien die Sonne. Vom Garten ins Feld, vom Feld in die Wiesen dämelt ich glücklich dahin. Schmetterlinge flogen in Menge. Von Zeit zu Zeit erhascht ich einen, besah ihn und ließ ihn fliegen, denn von der gewöhnlichen Sorte hatt ich längst alle Kasten voll.
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   Aber jetzt, in der Ferne, flog einer auf, den kannt ich noch nicht. Ich los hinter ihm her über Hecken und Zäune, wohl zwei, drei Stunden lang in einer Tour, bis mir's schließlich zu dumm wurde. Unwillig warf ich mich ins Gras. Oben in der Luft schwebte ein Habicht. Vertieft in seine sanften Bogenzüge, war ich bald eingedämmert. Als ich erwachte, wollte die Sonne schon untergehn, und da es die höchste Zeit war, nach Hause zu eilen, kletterte ich auf einen Baum am Rande des Waldes, um zu sehen, wo ich denn eigentlich wäre. Nichts als unbekannte Gegend in der Weite und Breite. Erst verdutzt, dann heiter und gleichgültig, ergab ich mich in mein Schicksal. Ich stieg herab, suchte einen gemütlichen Platz, setzte mich und fing an, Pflaumen zu essen. Plötzlich, mir stockte der Atem vor freudigem Schreck, kam er angeflattert, der reizende Schmetterling, geschmückt mit den schönsten Farben der Welt und ließ sich frech auf der Spitze meines Fußes nieder. Leise hob ich das Netz; ich zielte bedachtsam. Witsch! dort flog er hin.Aber gut gezielt war's doch, denn mit dem eisernen Netzbügel hatte ich richtig die kleine Zehe gestreift, genau da, wo sie am allerempfindlichsten war. Ich sprang auf, tanzte auf einem Bein und pfiff dazu.
   »Ähä!« lachte wer hinter mir. »Aufs Auge getroffen!«
   Ein hübscher, blasser Bursch, gekleidet wie ein Jägersmann, saß unter einer Buche.
   »Ich bin der Peter!« sag ich und setzte mich zu ihm.
   »Und ich der Nazi!« sagt er.
   Um seien linken Arm ringelte sich eine silberglänzende Schlange, die auf dem Kopf ein goldenes Krönchen hatte, und auf seinen Knien hielt er ein Vogelnest mit kleinen, blaugrünen Eiern darin.
   »Ein verdächtiges Vieh!« sagt ich mißtrauisch. »Es beißt wohl auch?«
   »Mich nie. Gelt, Cindeli!« sprach er, indem er ihr ein Ei hinhielt.
   Ich trug auf der bloßen Brust ein Medaillon, eine Goldmünze, das Geschenk eines Paten. Die Schlange machte sich lang danach.
   »Sie wittert das Gold«, sagte der Jäger.
   »Teufel, duck dich!« rief ich und gab ihr mit dem Stiel meines Netzes einen kurzen Hieb über die Nase.
   Zornig zischend fuhr sie zurück, wickelte sich los und schlüpfte raschelnd ins Gebüsch. Der Jäger, nachdem er mir vorher noch schnell einen Stoß auf den Magen versetzt hatte, daß ich die Beine aufkehrte, lief hinter ihr her.
   Allmählich wurde es im Walde pechteertonnendunkel. Die Luft war mild. Ich lehnte mich an den Baumstamm und entschlief augenblicklich, ja, ich kann wohl sagen, noch eher.
   Überhaupt, schlafen, das konnt ich ohne jede Mühwaltung; und fest schlief ich auch, fast so fest, wie die Frau mit dem guten Gewissen, der die Ratten über Nacht die große Zeh abfraßen, ohne daß sie was merken tät.
   Erst die Mittagssonne des nächsten Tages öffnete mir die Augen. Und wahrhaftig; da saß er schon wieder, drei Schritt weit weg, mein kunterbunter Schmetterling, auf einem violetten Distelkopfe, und fächelte und ließ seine ausgebreiteten Flügel verlockend in der Sonne schimmern. Mit kunstvoller List schlich ich näher. Vergebens. Genau eine Sekunde vorher, eh ich ihn erreichen konnte, flog er ab wie der Blitz, und dann noch einmal und noch einmal, und dann Fiwitz! mit einem eleganten Zickzackschwunge weg war er über eine haushohe Dornenhecke.
   »Zu dumm!« dacht ich laut, denn ich war sehr erhitzt. »So ein klein winziges Luder; will sich nicht kriegen lassen; ist extra zum Wohle des Menschen geschaffen und verwendet doch seine schönen Talente nur für die eigenen selbstsüchtigen Zwecke. Es ist empörend!«
   Im Eifer der Verfolgung hatt ich den einen Stiefel im Sumpf stecken lassen, und zwar so tief, so daß ich erst eine Zeitlang tasten und grabbeln mußte in der schwarzen Suppe, ehe ich ihn wiederfand. Ich schüttete den Froschlaich heraus, wusch mich und ging nun, nachdem ich mich abgekühlt und besänftigt hatte, in einem gemäßigten Bummelschritte einem fernen Hügel entgegen, über den sich als heller Streifen die Landstraße hinzog. Hier hofft ich ortskundige Leute zu treffen, die mir sagen konnten, wie ich nach Hause käme.
   Auf einem Meilensteine saß ein älterer Mann, der eine ungewöhnlich breitschirmige Mütze trug. Zwischen seinen Knien hielt er einen grauhaarigen Hund.
   »Guter Vater!« sprach ich ihn an. »Ich möchte gern nach der Stadt Geckelbeck.«
   »Genehmigt!« gab er zur Antwort.
   »Könnt Ihr mir vielleicht zeigen, wo der Weg dahin geht?«
   »Ne! ich bin rundherum blind.«
   »Schon lange?« fragte ich teilnahmsvoll.
   »Fast neunundfünfzig Jahr; nächsten Donnerstag ist mein dreiundfünfzigster Geburtstag.«
   »Was? Schon sechs Jahre vor Eurer Geburt?«
   »Sogar sieben, richtig gerechnet. Ich wollte schon damals gern in die Welt hinein, tappte im dunkeln nach der Tür, fiel mit dem Gesicht auf die Hörner des Stiefelknechts, und das Unglück war geschehen.«
   »Dann laßt Euch raten, Alter!"« sagt ich. »Und schielt nicht zu viel nach hübschen Mädchen, denn das hat schon manchen Jüngling zu Fall gebracht.«
   »Faß!« schrie der Blinde und ließ den Hund los.
   Ich nahm aber die Frackschöße unter den Arm, steckte mein Schmetterlingsnetz nach hinten zwischen die Beine durch, wedelte damit und ging so in gebückter Stellung meines Weges weiter; eine Erscheinung, die dem Köter so neu und unheimlich vorkam, daß er mit eingeklemmtem Schweife sofort wieder umkehrte.
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   Vor mir her schritt ein Bauer, der weder rechts noch links schaute, und da er einen ernsten, nachdenklichen und vertrauenerweckenden Eindruck machte, beschloß ich, an ihn eine Frage zu richten.
   »He!« rief ich. Er gab nicht acht darauf. »He!« rief ich lauter. Er ließ sich nicht stören in seinen Betrachtungen. Jetzt, als ich dicht hinter ihm war, klappte ich ihm mein Netz über den Kopf. Oh, wie erschrak er da. Ich hörte deutlich, wie ihm das Herz in die Kniekehle fiel.
   »Könnt Ihr mir nicht sagen, guter Freund, wo Geckelbeck liegt?« fragte ich und hob das Netz.
   Er hatte sich umgedreht. Er kniff die Augen zu, riß den Mund auf, so daß seine dicke, belegte Zunge zum Vorschein kam, streckte die Daumen in die Ohren, spreizte die Finger aus und schüttelte traurig mit dem Kopfe.
   »Döskopp!« rief ich in meiner ersten Enttäuschung, sah aber dabei ungemein freundlich aus.
   Der Taubstumme, der dies wohl für einen verbindlichen Abschiedsgruß hielt, zog ergebendst seine Zipfelkappe, obgleich er eine bedeutende Glatze hatte.
   Der Abend kam. Auf einem Acker rupft ich mir ein halb Dutzend Rüben aus, und da ein starker Tau den Boden benetzte, stieg ich in eine Tanne, band mich fest mit den Frackschößen und machte mich sodann über die saftigen Feldfrüchte her, daß es knurschte und knatschte. Von der letzten, bei der ich entschlummert war, hing mir die Hälfte nebst dem Krautbüschel noch lang aus dem Munde heraus, als ich am andern Nachmittag wieder erwachte. Schnell stieg ich herab, erfrischte mich in einer Quelle und kehrte auf die Landstraße zurück. Ich befand mich in der heitersten Laune; ich wußte es, eine innere Stimme sagte es mir: Dir wird heute noch besonders was Gutes passieren.
   In diesen angenehmen Vorahnungen störten mich die Klagelaute eines Bettlers, der, den Hut in der Hand, auf mich zukam.
   »Junger Herr!« bat er. »Schenk mir doch was. Ich habe sieben Frauen - ach ne! sieben Kinder und eine Frau, und meine Eltern sind tot, und meine Großeltern sind tot, und meine Onkels und Tanten sind tot, und ich habe niemanden in dieser weiten, harten, grausamen Welt, an den ich mich wenden könnte, als grad Euch, schöner Herr.«
   Bei diesen Worten erwärmte sich meine angeborene Großherzigkeit. Ich hatte siebzehn einzelne Kreuzer im Sack. Mit dem Gefühl einer behaglichen Erhabenheit warf ich zehn davon in den Filzhut des Bettlers.
   Kaum war dies geschehen, so nahm er einen Kreuzer wieder heraus und legte ihn mir vor die Füße.
   »Hier, mein Bester«, sprach er, »schenk ich Euch den zehnten Teil meines Vermögens. Seid dankbar und vergeßt den edlen Geber nicht, der sich bescheiden zurückzieht.«
   Nach kurzer Erstarrung lief ich hinter dem Kerl her, um ihn einen Tritt auf die Wind- und Wetterseite zu geben. Aber er hatte die Tasche voller Steine. Er traf so geschickt damit, daß mir, trotzdem ich das Netz vorhielt, schon beim zweiten Wurf ein ganz gesunder Vorderzahn direkt durch den Hals in die Luftröhre flog, worauf ich wohl eine Stunde lang husten mußte, ehe ich ihn wieder herauskriegte.
   Ich pflückte mir Felderbsen in mein Netz, ließ die grünen, angenehm kühlen Pillen durch die entzündete Gurgel rollen und füllte mir so zugleich den begehrlichen Leib mit jungem Gemüse. Dann zog ich mich in ein Gehölz zurück und legte mich, das Gesicht nach oben, schlichtweg zur Ruhe nieder.
   Den folgenden Tag hätt ich sicher verschnarcht, wär mir nicht gegen Mittag ein Maikäfer in den weitgeöffneten Mund gefallen. In dem Augenblick, als er sich anschickte, in die Tiefen meines Wesens hinunterzukrabbeln,erwachte ich. Der Wind schüttelte die Wipfel.
   Übrigens knurrte mein Magen wegen fader Beköstigung, und so machte ich mich denn auf und ruhte nicht eher, bis ich in ein Wirtshaus gelangte, wo ich mir eben für meine letzten Kreuzer etwas Derbes bestellen wollte, als ein wohlgemästeter Bauer, der sehr lustig aussah, in die Stube trat und sich zu mir an den Tisch setzte.
   »Euch ist wohl!« sag ich.
   »Mit Recht!" sagt er. »Hab den Schimmel verkauft auf dem Markt.«
   »Brav's Tier vermutlich.«
   »Das grad nicht. Alle Woche mal, oder wenn's ihm grad einfällt, haut er die Sterne vom Himmel herunter und den Kalk aus der Wand.«
   »Da habt Ihr den Käufer jedenfalls gewarnt.«
   »Was!« entgegnete der Bauer und wurde ganz traurig und niedergeschlagen. »Gott erhalte jedem ehrlichen Christenmenschen seinen gesunden Verstand. Seh ich wirklich so dumm aus?«
   »Hört mal!« sag ich. »Dann seid Ihr ja einer der größten Halunken, die auf den Hinterbeinen gehn zwischen Himmel und Hölle.«
   »So hör ich's gern!« rief der Bauer und sein Gesicht klärte sich auf. »Gelt ja? Ich bin ein Teufelskerl. He, Wirt! Gebt diesem netten Herrn ein belegtes Butterbrot und ein Glas Bier auf meine Rechnung.«
   Während ich aß, fiel es mir auf daß der Mann beständig durchs Fenster schielte. Plötzlich schien ihm was einzufallen. Er zahlte und sagte, er müßte notwendig mal eben hinaus, aber er käme gleich wieder. Kaum war er fort, so hörte man ein hastiges Pferdegetrappel von der Landstraße her. Ich trat vor die Haustür.
   Ein Schimmelreiter ohne Hut war angekommen und fragte ganz außer Pust:
   »War kein Bauer hier mit einem dicken Bauch, einem dicken Stock und einer dicken Uhrkette?«
   »Das stimmt!« sag ich. »Er ging nur mal eben zur Hintertür hinaus.«
   »So ein Hundsfott!« schrie der Reiter. »So ein Mistfink! Lobt und preist mir der Kerl den Schimmel an, der den Teufel und seine Großmutter im Leib hat.«
   »Ja!« sag ich gelassen. »Dummheit muß Pein leiden.«
   Krebsrot vor Zorn hob der Schimmelreiter die Peitsche. Ich schwenkte mein Schmetterlingsnetz.
   Auf dieses Zeichen schien der Schimmel gewartet zu haben. Er vergrellte die Augen, spitzte die Ohren, ging verquer, ging rückwärts, er drückte ein Fenster ein unter starkem Geklirr, er wieherte hinten und vorn, und dann, mit einem riesigen Potzwundersatze, weg war er über die Planke.
   Ich lief, um nachzusehen, vor den Hof. Der Schimmel war nur noch ein undeutlicher Punkt ganz in der Ferne; der Reiter hing deutlich im Pflaumenbaum ganz in der Nähe.
BildDie folgende Nacht verschlief ich unter einer Wiesenhecke. Eine Grasmücke, das graue Vöglein mit schwarzem Käppchen, weckte mich in der Früh durch seinen lieblichen Gesang. Ich blieb noch liegen und horchte. Durch Zweige und zierliche Doldenpflanzen sah ich in die sonnige Welt. Heuschrecken geigten an ihren Flügeln, indem sie die Hinterbeine als Bogen benutzten. Schwebefliegen blieben stehn in der Luft und starrten mich an aus ihren Glotzaugen. Endlich erhob ich mich und nahm in einem klaren Wassertümpel mein Morgenbad. Natürlich, grad wie mir's am wohlsten drin ist, kommt mein ersehnter Schmetterling dahergeflogen und flattert mir neckisch vor der Nase herum. Ich heraus, zieh mich an, eile ihm nach, von Wiese zu Wiese, den ganzen Tag bis dicht vor ein Städtchen. Hier schwang er sich über die Stadtmauer, hoch in die Lüfte, nach dem Wetterhahn hin auf der Spitze des Kirchturms.

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Erstellt von Jochen Schöpflin
Zuletzt aktualisiert am Samstag, 28. Januar 2006