Wilhelm Busch

Briefe

Von Wilhelm Busch sind neben seinen Bildern und Versen auch etliche Briefe erhalten. Zum Beispiel hatte er in den Jahren 1875 bis 1878 einen regen Briefwechsel mit Maria Anderson, einer holländischen Schriftstellerin. Von den insgesamt 70 Briefen Buschs sind hier einige aufgeführt:
 

Wolfenbüttel, 25. Mai 75.

Liebe Frau Anderson!
  Gewißheit giebt allein die Mathematik. Aber leider streift sie nur den Oberrock der Dinge. Wer je ein gründliches Erstaunen über die Welt empfunden, will mehr. Er philosophirt - und was er auch sagen mag - er glaubt. - In meinem elften Jahr verblüffte mich der Widerspruch zwischen der All-wissenheit Gottes und dem freien Willen des Menschen; mit 15 Jahren zweifelte ich am ganzen Katechismus. Seit ich Kant in die Hände kriegte, scheint mir die Idealität von Zeit und Raum ein unwiderstehliches Axiom. Ich sehe die Glieder der Kette in Eins: Kinder, Eltern, Völker, Thiere, Pflanzen und Steine. Und Alle seh ich sie von einer Kraft erfüllt.

  Sind Berge, Wellen, Lüfte nicht ein Stück von mir? etc.

  Drum gefällt mir Byron so sehr. Wie könnte uns auch das Zeug nur so bedeutungsvoll erscheinen, wenn alles nicht aus einer Wurzel wüchse? Die ist, was Schopenhauer den Willen nennt: der allgegenwärtige Drang zum Leben; überall derselbe, der einzige; im Himmel und auf Erden: in Felsen, Wasser, Sternen, Schweinen, wie in unserer Brust. Er schafft und füllt und drängt, was ist. Im Oberstübchen sitzt der Intellekt und schaut dem Treiben zu. Er sagt zum Willen: ,,Alter! laß das sein! Es giebt Verdruß!" Aber er hört nicht. Enttäuschung; kurze Lust und lange Sorge; Alter, Krankheit, Tod, sie machen ihn nicht mürbe; er macht so fort. Und treibt er ihn auch tausend Mal aus seiner Haut, er findet eine neue, die's büßen muß. - Und dieser Wille, das bin ich. Ich bin mein Vater, meine Mutter, ich bin Sie und Alles. Darum giebt es Mitleid, darum giebt's Gerechtigkeit.

  Natur und Lehre sind verschieden, Natur ist stärker als die Lehre - sagen Sie. Natürlich und gewiß! Der Wille ist der Starke, Böse, Wirkungs-volle, Erste; der Intellekt ist No. 2. - Nichtwollen, Ruhe wär' das Beste. - Wie soll das kommen? -Da steckt's Mysterium.

  Bin ich nun deutlich? - Seien Sie gut und brav und liebenswürdig und sagen Sie: Jawohl!

Ihr Wilh. Busch.
 
  Wolfenbüttel, den 27. Mai 75.
  Sie mögen gern Tiere leiden; ich auch. - Des Morgens um halb sechs werden die Hühner gefüttert und der schlanke Pfau mit dem Krönchen auf und dem Gefieder von Gold und Edelstein. Das ist der Vornehmste. Er pickt nur wenige Körner; dann geht's trrrrr! und ein Fächer von tausend Liebesaugen flimmert in der Morgensonne. Das zittert und trippelt und macht mit den Flügeln! Aber die alten Hühnertanten kucken nicht hin, sondern hacken mit ihren harten, knöcheren Nasen im Sande weiter. Es muß wohl ein verwunschener Prinz oder ein metamorphosierter Olympier sein; denn wenn die Frau Brückner, das kleine Waschweibchen, auf den Hof kommt, so fliegt er auf ihren Rücken und faßt sie ganz ordentlich und regelrecht beim Zopfe an. Wenn sie nur nicht nächstens das Eierlegen anfängt. Wenigstens schnattern und gackern tut diese Madam Leda genug.

  Mein Bruder hat eine Küche gebaut; eine zeitlang waren keine Fenster drin. Ein Rotstärtchen - es singt immer zick zackzackzack! - und bibbert dabei mit dem Schwanz - war heimlich aus- und eingeflogen und hatte sich auf einem Balken mit vieler Geduld ein weiches Nest gebaut von manchem Halm und mancher Feder. Nun kommt der böse Glasermeister und macht alles fest zu. Das giebt ein trauriges Gezwitscher in den Bäumen da draußen.

  Neulich pusselt Nachbar Mumme mit dem Spaten in seinem Garten herum, dicht bei den Stachelbeerbüschen. Auf einmal springt ein fremder Hund heraus und knurrt und will nicht weg und zeigt die Zähne. "Der Hund ist toll", so heißt es gleich. Man holt die Flinte - bum! - Die Kugel geht dem Hunde durch den Kopf, er streckt sich aus und stirbt. -- Wie man genauer zusieht, liegen drei ganz kleine neugeborne Hündchen im Gebüsch.

  Ach, meine liebe Frau Anderson! Es regnet und regnet und regnet und hat nur sieben Grad plus.

  Mit tausend Grüßen

Ihr W. Busch.

 
Wiedensahl, 7. Juli 75.
  Die "Urzeugung" paßt recht gemüthlich zu meinem Glauben. Aber wo sind denn die Beweise, meine liebe Frau Anderson?

  Diese sogenannten Wahrheiten habe ich doch ein wenig im Verdacht der Unbeständigkeit.

  Bis in die fünfziger Jahre galt als bombenfest der Satz: Nur das befruchtete Ei ist entwicklungsfähig.

  Hören Sie nun mal etwas über Bienen!

  Im Bienenstaate ist die Königin das einzige Weibchen; sie begattet sich ihr lebelang nur ein einziges Mal. Sie empfängt das Sperma in einem kleinen Samenbläschen, welches in den Legekanal mündet, um, wenn ein Ei vorbei passirt, an dieses die nöthigen Samenthierchen abzugeben, die dann bekanntlich durch eine kleine Öffnung in dasselbe eindringen. Die Königin legt nun ihre Eier in Drohnenzellen und Bienenzellen. In den ersteren entwickeln sich Drohnen, d.h. Männchen, in den andern Arbeitsbienen, d.h. unvollkommene Weibchen. Nun hat man folgendes beobachtet:

  1) Zuweilen legt eine Königin nur Drohneneier. Untersucht man dann ihr Samenbläschen, so ist es leer.

  2) Eine italienische JungfrauKönigin, mit deutschen Drohnen gepaart, vererbt ihre Abzeichen ganz rein nur auf die männlichen Nachkommen. Die Drohnen sind echt, die Weibchen sind Mischlinge.

  3) Man drückte befruchtete Königinnen mit einer kleinen Zange an der Stelle ihres Leibes, wo das Samenbläschen liegt. Von der Zeit an legten sie nur Drohneneier.

  4) Man untersuchte Bieneneier und Drohneneier mit dem Mikroskop. In keinem einzigen Drohnenei fanden sich Samentierchen.

  Was folgt hieraus?

  Antwort: Hier findet Parthenogenesis statt.

  Ich hoffe, Sie werden daraus auch ohne mich eine hübsche Nutzanwendung machen in Bezug auf die Würde der Frauen im allgemeinen und die unbefleckte Empfängniß in's besondere.

  Aber Scherz beiseit! Was ich meine, ist dies:

  Alle solche Thesen sind Hypothesen. - Wir dürfen bescheiden sein. - Wer die nackte Wahrheit will, der mahle a+ 2.a.b + b2 auf der Wind- und Klappermühle, deren Wichtigkeit ich sonst nicht verkenne. --Wir aber, wir reden den hübschen "blühenden" Unsinn. Wir sagen: Die Sonne geht unter; der Mond geht auf. - Hier ist der See. Der entschlummerte Tag haucht leise darüber hin. Die Wellen zittern und blinken. Sanft schaukelt der Kahn. Die Laute klingt. Aber tief unten im Grund liegt der Hort und Schatz der Wahrheit.

Ihr Wilh. Busch.

 

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Erstellt von Jochen Schöpflin
Zuletzt aktualisiert am Sonntag, 7. August 2005