Vierter Streich

In das Haus zum Nachbar Lorch
Brachte Zwillinge der Storch.
In der Wiege in der Stube
Lag ein Mägdlein und ein Bube,
Wovon immer eines schrie:
Bald war's er und bald war's sie.
Alle Nachbarn und Verwandten,
Die das Ehpaar Lorchen kannten,
Kamen ohne Unterlaß.
Ja, so ein Besuch macht Spaß.
In den Kissen diese Beiden
Mochten das sehr wenig leiden.
Denn sie wußten nicht, warum
Plötzlich soviel Publikum.
Doch als einst die Stube leer,
Kamen Maus und Molli her.
Ihre Puppen alle zwei
Hatten sie auch mit dabei.
Beim Vergleich wollt's ihnen scheinen:
»Besser spielt sich's mit den Kleinen!«
Weil rings niemand konnte lauschen,
Dachten sie, sich's auszutauschen.
Molli nahm den Buben 'raus
Und das Mädel fischte Maus.
Aber dafür in der Wiegen
Ließen sie die Puppen liegen,
Die mit stummen Unverstand
Starrten auf die Deckenwand.
Maus und Molli mit dem Raub
Machten froh sich aus dem Staub.
Später kam Frau Bürgermeister
Mit der wackeren Witwe Kleister,
Um die Kinder anzuseh'n.
»Ach!« sprach sie. »Wie sind sie schön!«
Doch die Witwe seufzte bald:
»Ui! Wie sind die Bäcklein kalt!
Ui! Wie sind die Augen starr
Und die Nasen sonderbar!«
Als sie nach dem Herzen griff
Bei dem einem, tat das: »Pfiff!«
Und das andere machte: »Quäck!«
Um fiel da die Frau vor Schreck.
Auf der Bürgermeisterin Schrei
Lief das halbe Dorf herbei.
»Bäh!« So sprach der Bader Dampf.
»Wie mir scheint, ist das ein Krampf.«
Seht, der Doktor kommt mit raschen
Schritten und Arzneienflaschen.
Jedem Zwilling legt er drauf
An der Brust das Hörrohr auf.
Sehr bedenklichen Gesichts
Meint er: »Hupp! Da rührt sich nichts.«
Um die Zweifel abzuwenden,
Greift er mit den beiden Händen
In die Kissen und - o weh! -
Hebt die drinnen in die Höh'.
Herr und Frau Lorch nicht minder
Schrei'n: »Das sind nicht unsere Kinder!«
Witwe Kleister raunt: »Es hexelt!
Hu! Man hat sie ausgewechselt.«
Doch der kluge Doktor spricht:
»Menschen sind das keine nicht.«
Von den Augen fällt's wie Schuppen.
Wirklich ja, es waren Puppen.
Ahnend riet ein jedermann:
»Maus und Molli habn's getan!«
In dem Garten an der Hecke
Fand man sie in dem Verstecke,
Wo sie kühn die kleinen Beiden
Ließen auf dem Schnauzl reiten
Erst im Trab und dann Galopp.
Mit Geschrei ging's: »Hopp! Hopp! Hopp!«
Denn es hat ja keinen Dunst
So ein Zwilling von der Kunst.

Dieses war der vierte Streich.
Doch der fünfte folgt sogleich.

Weiter mit dem fünften Streich

Erstellt von Jochen Schöpflin
Zuletzt aktualisiert am Montag, 22. August 2005